Koeppen, Andersch, Böll
Homosexualität und Faschismus in der deutschen Nachkriegsliteratur
Die Adenauerzeit, die Nazizeit, das Mittelalter - sie alle gelten als "dunkel". Aber damit machen wir es uns nur bequem. Wir schauen nicht genau hin und verklären die eigene Gegenwart zur schönsten aller Welten. Ungläubig begegnen wir jenen Mediävisten und Greisen, die uns versichern wollen, damals habe es keineswegs nur Unterdrückung, sondern auch ein veritables schwules Leben gegeben und eine Literatur der Männerliebe. Die existieren ja in allen Epochen und unter allen politischen Verhältnissen, wenngleich unter wechselnder Camouflage und in zeittypischen Erscheinungsformen. Die Sozialgeschichte der Gleichgeschlechtlichen wird gerade dadurch so spannend, dass sie sich wie ein Katalog durchblättern lässt, worin die Spielformen zwischen Repression und Vitalität in aller Reichhaltigkeit verzeichnet sind. Gestern hießen diese Leute noch "homosexuell", heute queer, und morgen gehen sie in einem neuen Kleid. Oft muten sie uns sogar ganz fremd an wie in der altgriechi schen Jünglingsliebe oder in der melanesischen Jungenkultur. Gar nicht fremd hingegen müssen uns diejenigen Perioden sein, aus denen die unsere hervorgegangen ist. Wenn die Gegenwart 1969/1971 begonnen hat - immer noch die markante und gültige Zäsur - , dann bildet die Nachkriegszeit den direkten Vorläufer. Man sagt "Fünfziger Jahre" und möchte sich schütteln. Muffige Moral, Otto-Normalverbraucher und alte Nazis zeichnen für uns Heutige das Profil einer Zeit, die nach dem Ende des zweiten Weltkriegs beinah ein Vierteljahrhundert angedauert hat. Sie wirkt auf uns wie eine Fortsetzung des zwölfjährigen Verhängnisses, nach dem in Deutschland nichts mehr war und nie wieder werden kann, wozu zwischen 1860 und 1930 so hoffnungsvoll angesetzt worden war. Hat die Nachkriegszeit in Deutschland den Reichtum wieder belebt, der ausgangs der Weimarer Zeit die Homosexuellenkultur ausmachte - die lebendigste der ganzen Welt, das Mekka angloamerikanischer Intellektueller, die Hoffnun g der Sexualreformbewegungen? In der Tat, da ist fast nichts - nur wenige, im Privaten bleibende Kleinorganisationen und einige erfolglose Anläufe. Erst ab Mitte der 1960er fanden Aufrufe zur Entkriminalisierung breitere Unterstützung. Immerhin hat es an Versuchen zur Bewegung nicht gemangelt. Woran nur sind sie alle erstickt? Ich bin in der Zeit aufgewachsen, kam Mitte der fünfziger Jahre ins Studium. Im Abitur versagte ich vor Tonio Kröger, vielleicht gerade wegen der schwulen Anklänge darin. In unserer Nachbarschaft wohnte ein wahrer Star für Herrenmode - aber weil er "deswegen" im Gefängnis gesessen hatte, schauderte uns vor ihm. Dass mein eigenes Anderssein etwas mit jener abscheulichen Homosexualität zu tun haben könnte, das ahnte ich zwar, hielt es aber weit von mir entfernt. Brav habe ich das Heterosexuellsein geübt - bis ich es schaffte, den Rubikon zum Schwulsein zu überqueren. Es befreite mich vom Angepasstsein, von mentalen Fesseln und hin zu einem neuem Berufs feld. Die Fünfziger sind noch in mir - in meiner Arbeitsmoral und Sparsamkeit, als Euphorie über die Chancen soziosexuellen Wandels, aber auch als wehmütige Reminiszenz an eine Zeit, in der die Welt scheinbar noch in Ordnung war. Diese Ordnung hat indessen nicht mehr als eine Atempause in der historischen Entwicklung bedeutet, eine Brücke von der knapp überlebten Katastrophe zum allmählichen Wiedereintritt in die Weltpolitik. Hinter den sauberen Leinwänden unserer fünfziger Jahre wartete nicht nur "Die Sünderin", sondern auch Anders als du und ich. Sowohl die politische Modernisierung als auch die Emanzipation des Homosexuellen vollzog sich aufhaltsam, aber unablässig. Die Belletristik bezeichnet eines der Felder, auf dem das Neue mit dem Alten focht. Es macht schon staunen, wenn ich mich heute in Begleitung eines jungen Amerikaners auf eine Lesereise in die Adenauer-Jahre begebe, meiner Lektüre jener Jahre nachspüre und dabei wirklich Überraschungen erlebe. Immerhin behande lt er ja drei